Vier Täler – Bosco, Campo, Vergeletto und Maggia

Genusswandern mit Steigerung

 

Diese herrliche Herbstwanderung über fünf Tage durch vier Täler des Nordtessins lebt von den zahlreichen Perspektivenwechsel, die die Zeit vergessen, dass Davor und Danach für einen erholsamen Moment ruhen lassen. Es zählt nur noch das Hier und Jetzt im Wechsel zwischen Anstrengung und Erholung, wobei auch das Kulinarische nicht zu kurz kommt.

Die erste und kürzeste Etappe unserer fünftägigen Tour führt uns von Bosco Gurin zur Capanna Grossalp hinauf, wo wir die erste Nacht verbringen. Das einzige Walser Dorf im Tessin lädt zum Verweilen ein, wobei man sich einen Besuch im Wohn- und Sprachmuseum nicht entgehen lassen sollte. Bosco Gurin bildet seit Jahrhunderten eine besondere Sprach- und Kulturinsel, die unser Augenmerk verdient.

Der zweite Tag erwartet uns mit einer herrlichen Traverse hoch über dem Valle di Bosco zum Passo Quadrella hinüber (Abb. 1). Der Blick reicht weit über den Pizzo Bombögn hinaus bis zum Piz Bernina und Monte della Disgrazia. Gut einzusehen ist die 300 Meter lange und zwei Meter hohe Weidemauer am Bombögn. Diese wurde 1948 zum Schutz gegen die Ziegen aus Bosco Gurin und Cerentino errichtet, die immer wieder Schäden in den dringend notwendigen Aufforstungen unterhalb des Sasso Rosso verursachten. Der frühere Kahlschlag hatte zur Folge, dass sich der Boden um Campo und Cimalmotto um mehrere Zentimeter pro Jahr senkte und das abrutschende Gelände oberhalb der Rovana die beiden Dörfer bedrohte.

Vom Pass steigen wir durch lichten Lärchenwald zur Alp Quadrella di Fuori ab und verlassen dort den direkten Weg nach Cimalmotto unmittelbar oberhalb der rechts des Weges gelegenen Stallruine gegen Süden (Abb. 2). Der schmale Pfad führt durch den Bosco di Quadrella zur Alplichtung von Quadrella di Dentro. Jetzt im Herbst begleitet uns das mal nahe, mal ferne Röhren der Hirsche auf Schritt und Tritt. Am südlichen Ende der Lichtung findet sich die Fortsetzung des Weges auf weichem Waldboden nach dem im Südosten gelegenen Weiler Fontanella hinunter und weiter zu den Weiden von Pianelli, wo wir auf dem Biobauernhof Munt la Reina übernachten. Den Besuchern steht eine komfortable Wohnküche zur Verfügung und im Hofladen kann man den fehlenden Proviant erneuern.

Am dritten Tag nehmen wir den Aufstieg zum Passo della Cavegna mit seinem gleichnamigen See unter die Füsse. Nach einem kurzen Abstieg zur Rovana erreichen wir über eine erste Geländestufe die Alpe di Sfii, über einen zweiten steilen und rutschigen Hang schliesslich See und Pass. Im Aufstieg oberhalb von Sfii erkennen wir einen ganzen Kranz weiterer Alpweiden, jene von Piementu, Corte di Fondo und Corte di Sopra mit ihren langen Stallgebäuden, Gelato mit dem gleichnamigen See und versteckt Corte del Lago am Lago di Sfii. Jenseits des Passes werden wir auf der Alpe di Porcaresc von Nadja mit einem traumhaften Risotto verwöhnt. Danach folgen wir einem herrlichen Höhenweg auf der Südseite der Valle di Vergeletto, der die Alpen Madei, Arena sowie Pièi Bechei mit den Weiden von Saléi verbindet und vor Zeiten für eine Ewigkeit mit riesigen Gneisplatten befestigt wurde. Wir ziehen eine Nacht in der bewirteten Capanna Saléi der Selbstversorgerhütte von Arena vor, vor allem wegen der ausgezeichneten Küche von Fausto und Gianna und um die morgige Etappe zu verkürzen. Es gibt Fasanenleber und Wildschweinschinken zur Vorspeise, gefolgt von Hirsch mit Polenta und zu guter Letzt Tiramisu, was kann man sich noch mehr wünschen?

Am nächsten Morgen überraschen uns balzende Auerhähne vor der Hütte! Den Abstieg nach Zott im Vergeletto bewältigen wir schwebend und die Knie schonend mit der Seilbahn. Durch die Valle della Camana steigen wir vorerst gemütlich bis Fümegn und dann steil bis zur Alpe di Doia auf. Oberhalb dieser Alp legt sich der Hang kurz zurück, bevor wir nochmals stotzig die Bochetta di Doia erreichen. Von hier aus ist es nicht mehr weit bis zum malerischen Lago d’Alzasca und der gleichnamigen SAC-Hütte, wo wir die letzte Nacht verbringen (Abb. 3). Die Hüttenwarte Renato und Dante verwöhnen uns auch hier mit Salat, Spezzatino und Pasta sowie erneut einer himmlischen Variation von Tiramisu. Die heisse Dusche, übrigens an allen Übernachtungsorten möglich, ist hier ein besonderes Vergnügen, weil sie anlässlich unseres Aufenthaltes einer Lawine wegen unter freier Luft und Aussicht erfolgt!

Für den langen Abstieg in die Valle Maggia wählen wir den Weg über die Alp Corte Nuovo und die Monti von Valle sowie Morella nach Cevio. Dieser besteht vorerst aus einer langen Traverse durch lichten Lärchenwald, in dem man Auerhähnen, Gämsen und Hirschen begegnen kann. Der steile Pfad mehrheitlich in der Falllinie nach Valle lässt rasch an Höhe verlieren, ist aber feucht und rutschig, gebietet also Vorsicht. Dafür ist der Weiterweg über Morella nach Cevio dank vieler Kehren leicht und angenehm (Abb. 4). Mit einem erfrischenden Bad in der Maggia beenden wir etwas wehmütig diese mehrtägige Tour, bot sie uns doch ein durch Einsamkeit und Wildheit einmalig geprägtes Naturerlebnis.


Abb. 1 Auf dem Weg zum Passo Quadrella mit Blick über die Valle di Bosco auf Bosco Gurin


Abb. 2 Alpe Quadrella di Fuori mit Pizzo Bombögn


Abb. 3 Lago d‘Alzasca


Abb.4 Routenverlauf

Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.
Philip Rosenthal