Grossi Wasserleitu – Bisse de Varon

Ohne Wasser kein Wein

Von Christian E. Besimo

Das Rhonetal, geschützt durch mächtige Gebirgsketten, ist nicht nur das niederschlagsärmste Gebiet der Schweiz, sondern weist auch ein steppenartiges Klima auf. Die sich gegen Westen weitende Talebene profitiert von der Rhone, die von den Gletschern Wasser sowie wertvolle Mineralstoffe für die grossen Obst- und Gemüseplantagen liefert. Nicht so auf den Talhängen. Dort müsste ohne intensive Bewässerung alles Verdorren und wären weder Acker- noch Rebbau möglich. Entsprechend haben die Menschen ein einmaliges Bewässerungssystem geschaffen, indem sie das von den Gletschern zu Tal fliessende Wasser in den Bächen und Flüssen fassten und in Wasserleiten, sogenannten Suonen (dt.) oder Bisses (fr.), entlang der Talhänge zu ihren Feldern und Wiesen leiteten. Dabei war ihnen die raue Natur der Berge oft nicht wohlgesinnt, stellte ihnen unüberwindbar erscheinende Hindernisse in den Weg oder zerstörte immer wieder die fragilen Bauwerke. Doch die Menschen liessen sich nicht entmutigen, überwanden mit waghalsigen Konstruktionen aus Holz und später Metall selbst senkrechte Felswände und brachen, wo dies nicht möglich war, mit einfachsten Mitteln Tunnels durch den Felsen. Solche Bewässerungskanäle lassen sich im Wallis bis ins 1. Jahrhundert n. Chr. nachweisen. Konstruktion und Unterhalt waren ein gefährliches Gemeinschaftswerk (Gmeiwärch), bei dem viele Menschen das Leben verloren. Die Wasserrechte der einzelnen Familien wurden auf Holzplanken oder -plättchen, sogenannten Tesseln, mit unterschiedlich grossen Bohrungen oder unterschiedlicher Zahl von Kerben festgehalten. Die Plättchen waren auf einer Schnur aufgereiht ähnlich einem Schlüsselbund. Die Wässerung der Felder und Wiesen erfolgte nach einem genau festgelegten Zeitplan (Kehr), über dessen Einhaltung der Wasservogt eisern wachte. Zuwiderhandlungen wurden hart bestraft. Dieser ständige Kampf gegen die Wassernot hat die Menschen und die Kulturlandschaft im Wallis geprägt und wurde in der Literatur viel besungen. Wer sich für die Jahrtausende alte Geschichte der Suonen interessiert, dem sei das Musée des Bisses in Botyre-Ayent oberhalb von Sion wärmstens empfohlen.

Wenden wir uns nun der Wanderung entlang der Grossi Wasserleitu oder Bisse de Varon zu. Die kleine Rundwanderung beginnt in Cordona, das wir mit dem Privatfahrzeug auf einer schmalen Strasse von Venthône oder Miège aus erreichen. Ein schmaler aber guter Weg zweigt gleich am Eingang des Maiensässes berg- und ostwärts von der Strasse ab. Er führt in den Flottuwald, der im Wesentlichen aus Waldföhren besteht. Diese Bäume müssen sich mit einer dünnen Humusschicht begnügen und mit einem weit verzweigten Wurzelwerk das über die Felsplatten abfliessende Regenwasser auffangen. Auffallend ist die gleichmässige, wie glatt polierte Neigung des Felsuntergrundes (Abb. 1). Diese ist nicht auf den Gletscherschliff zurückzuführen, sondern auf einen mächtigen prähistorischen Bergsturz. Die Plattenschüsse bildeten den Gleithorizont für die Fels- und Schuttmassen, die heute die Hügel zwischen Siders und dem Pfynwald formen. Schon bald kommen wir an den Resten eines Kalkbrennofens vorbei. Der Waldboden ist vielerorts mit Preiselbeeren rot gesprenkelt und Wachholderstauden mit ihren würzigen Beeren säumen den Weg.

Nach knapp einer Stunde stossen wir auf den Bergweg, der von Varen zur Varneralp hinaufführt. Wir folgen diesem abwärts bis zum Bett des Gulantschibachs. Wir überschreiten diesen nicht, sondern wenden uns gegen Süden und erreichen nach kurzer Zeit über einen Zickzackweg die Grossi Wasserleitu. Dieser entlang queren wir auf einem beschaulichen Weg die spärlich bewaldete Blatte. Nur entlang der Suone konnte sich ein schmaler dichter Wald- und Buschgürtel bilden, der von weitem als gerade Linie im Hang erkennbar ist (Abb. 2 und 3). Zudem fällt auf, dass unterhalb der Wasserleite Flaumeichen die Föhren abgelöst haben. Letztere vermögen besser der enormen Sommerhitze zu widerstehen, die in Bodennähe bis zu 50° C erreichen kann. Weiter talwärts schweift unser Blick über das vielfältig gewebte Muster der Rebberge von Varen und Salgesch.

Bevor die Suone in die Schlucht der Raspille einbiegt, wo sie ihr Wasser fasst, nehmen wir die bergseitige Abzweigung, die uns in nordöstlicher Richtung über den Weiler Sans etwas steil nach Cordona zurückführt (Abb. 4). Ein zauberhafter Rundweg, der durch die Kargheit der Landschaft die Bedeutung der Suonen bewusst macht. 

 

Abbildungen

Abb. 1 Gut sichtbarer Gleithorizont des prähistorischen Felssturzes im Flottuwald

Abb. 2 Der dicht bewaldete Streifen entlang der Wasserleite hebt sich deutlich von der kargen Vegetation der Umgebung ab.  

Abb. 3 Grossi Wasserleitu oder Bisse de Varon

Abb. 4 Routenverlauf

Wenn die Neugier sich auf ernsthafte Dinge richtet, dann nennt man sie Wissensdrang.
Marie von Ebner-Eschenbach
Mitglied
werden
Newsletter
abonnieren

VHSZ-Mitglied werden

Weiterbildung mit der Volkhochschule Schwyz - Jetzt Mitglied werden und von exklusiven Kursen profitieren.

Wähle deine VHSZ Mitgliedschaft

Newsletter abonnieren

Nichts verpassen - Die neuesten Kurse und Angebote der VHS Schwyz direkt in Ihrem Posteingang!

Newsletter abonnieren, nach Interessen: