Fluegrind und Surettaseen

Splügener Schneeschuhzauber

 

In Splügen erwartet uns tiefer Winter und strahlender Sonnenschein. Unser Lager haben wir in der Alten Herberge Weiss Kreuz aufgeschlagen, einem wunderschön hergerichteten historischen Hotel, das im oberen Teil des Dorfes hoch über dem Stutzbach liegt. Vom Speisesaal aus geniesst man bei vorzüglichem Essen eine herrliche Aussicht auf die Kirche und den alten Dorfteil oder auf den kunstvollen Flug der Bergdohlen über den tief verschneiten Dächern.

Unsere erste kleinere Schneeschuhtour beginnt gleich vor der Haustür. Wir verlassen Splügen zu oberst im Dorf durch einen kleinen Torbogen in der Häuserfront und folgen dem alten Weg zum Safierberg steil den Hang auf der Westseite des Stutzbaches hinauf. Bei den ersten Stadeln legt sich der ebenfalls Stutz genannte Hang etwas zurück. Da der Aufstieg zur Stutzalp eine beliebte Route für Skitourenfahrer ist, liegt meist schon eine Spur, von der man bis zu den obersten Stadeln oder eben Gaden von Gadastatt profitieren kann. Hier wenden wir uns genau gegen Süden und queren den Hang in Richtung der Senke nordwestlich des Fluegrinds. Gleich hinter dieser stehen drei Alphütten, auf deren Dächer hohe Schneedecken lasten. Die Seitenmauern sind vollständig unter dem Schnee begraben (Abb. 1). Hier halten wir unsere Mittagsrast und geniessen die warme Sonne, die uns während des ganzen Aufstiegs begleitet hat.

Der Sommerwanderweg weiter nach Medels kommt nicht in Frage. Er führt durch Hänge, die im Winter stark lawinengefährdet sind. Es sind zahlreiche Grundlawinenzüge zu erkennen und oberhalb von uns öffnen sich in den Hängen fischmaulförmige Spalten in der Schneedecke, die nichts Gutes verheissen. So steigen wir auf derselben Route wieder ab und legen unsere Spur durch noch kaum berührte Schneehänge, fühlen uns federleicht, als würden wir auf Wolken gehen.

Den späten Nachmittag und Abend verbringen wir mit Freunden bei gutem Essen und Wein in der Alten Herberge, vor uns im Panoramafenster das Dorf im schwindenden Licht, als wäre es ein Bild Segantinis.

Der nächste Tag führt uns zu den Surettaseen im Südosten von Splügen. Wir folgen der Passstrasse zum Splügenpass bis zu ihrer ersten scharfen Rechtskurve. Am Dorfausgang steht noch der mit einem Vordach versehene alte Grenzposten, der heute von der Bündner Kantonspolizei genutzt wird. Über eine gut gespurte Waldstrasse gelangen wir gegen Osten in den Fugschtwald. Noch vor der zweiten Bachrunse, die die Grenze eines Wildschutzgebietes bildet, in dem jegliche Ausübung von Sport verboten ist, zweigt der Bergweg zu den Surettaseen ab, der in mehreren weiten Kehren gegen den Franzisch Grind zur Baumgrenze hinaufführt. Die Chancen stehen meist gut, dass bereits eine solide Spur gelegt ist, da dieser Aufstieg auch im Winter sehr beliebt ist, ohne überlaufen zu sein. Bei viel und neu gefallenem Schnee ist es nicht nur anstrengend, sondern auch nicht ganz einfach, die Trasse des Alpweges zu finden. Oberhalb der Baumgrenze quert man den weiten Schneehang in südsüdöstlicher Richtung gegen das Becken der Surettaseen nördlich der Surettahörner (Abb. 2 und 3). Es ist ratsam, die mit Triebschnee gefüllten Geländesenken zu meiden und die vom Wind kahlgefegten Felsrücken für den Aufstieg zu nutzen. Vom Unteren zum Oberen Surettasee, beide zugefroren und tief verschneit, muss nur noch ein kurzer Osthang überwunden werden. Leider ist die Seehütte am Ufer des oberen Sees verschlossen und finden wir selbst auf ihrer Leeseite keinen Schutz vor dem eisigen Südwind, der in wilden Wirbeln ganze Wolken von flirrenden Schneekristallen vor sich hertreibt, die uns bald mit einer feinen weissen Schicht bedecken. So ist unsere Rast zwar von kurzer Dauer, der herrliche Ausblick auf die Surettahörner direkt über uns und vom Piz Tambo über Zapporthorn und Adula bis hin zum Teurihorn hoch über Splügen wird deswegen aber in keiner Weise geschmälert. Kaum zu glauben, dass wir im letzten Sommer im oberen See geschwommen sind und ihn mit einem Ruderboot befahren haben. Für den Abstieg wählen wir erneut dieselbe Route. Da sich zahlreiche Abkürzungen anbieten und die Ausblicke auf Tal und Berge so verändert gegenüber dem Aufstieg erscheinen, wähnen wir uns wie auf einer neuen Route (Abb. 4).


Abb. 1 Fluegrind mit dem Massiv der Surettahörner


Abb. 2 Beim Oberen Surettasee, den Piz Tambo im Rücken


Abb. 3 Blick auf den Safierberg und das Teurihorn


Abb. 4 Routenverlauf

Persönlich bin ich immer bereit zu lernen, obwohl ich nicht immer belehrt werden möchte.
Winston Churchill