Barrhorn

Mit Dohlen dem Himmel nah

 

Unsere Leidenschaft topographische Karten zu lesen, hat unsere Aufmerksamkeit auf das Barrhorn gerichtet. Wie oft ist es schon Teil des Panoramas gewesen, das wir von anderen Gipfeln aus geniessen konnten. Allerdings war uns dabei nie bewusst, wie relativ leicht erreichbar dieser zentral zwischen den Walliser Viertausendern gelegene Gipfel ist. Doch aufgepasst, der Weg ist zwar gut begehbar, aber er führt an einer Stelle durch eine Felsstufe und auf 3610 Meter hinauf. Und dort herrschen hochalpine Bedingungen, die bei schönem Wetter gut zu beherrschen, aber bereits bei Nebel, Wind und Kälte den Unerfahrenen und schlecht Vorbereiteten sehr rasch überfordern können.

 

An einem sonntäglichen Spätnachmittag steigen wir vom Ende der Fahrstrasse beim Vordern Sänntum zu hinterst im Turtmanntal in gemütlichen zwei Stunden zur gleichnamigen SAC-Hütte hinauf. Die öffentlichen Verkehrsmittel, d. h. die Seilbahn von Turtmann im Rhonetal nach Oberems, und anschliessend ein Kleinbus führen nur bis zum Weiler Meiden. Von dort bleiben noch rund drei Kilometer Fussmarsch bis zum Vordern Sänntum zu bewältigen. Für den Hüttenaufstieg wählen wir den beschaulichsten Weg über die Alp Holustei. Es lohnt sich, sein Nachtlager in der nachgefragten Hütte zu reservieren und wenn möglich die Tour unter der Woche zu planen. Wir geniessen die Gastfreundschaft und die gute Küche des Hüttenpaares Magdalena und Fredy Tscherrig und seines Teams. Die Federbetten in den gemütlichen kleinen Schlafräumen sorgen für herrliche Träume.

 

Das Frühstück nehmen wir bereits um sechs Uhr ein, um genügend Zeit für Auf- und Abstieg und die Gipfelrast zu haben. Der Weg quert vorerst weitgehend eben einen Wiesen- und Geröllhang bis zu dem steilen Couloir, Gässi genannt, welches die Durchsteigung der vom Barrhorn herunterziehenden Barrwang ermöglicht. Der Weg führt, durch Fixseile gesichert, über die südlichen Felsen aus dem engen oberen Teil des Couloirs heraus auf die frühere nördliche Moräne des Brunegg Gletschers. Diese Passage erfordert Schwindelfreiheit und Trittsicherheit. Auf der mässig ansteigenden Moräne geniessen wir den frühherbstlichen Sonnenaufgang und den Blick über Turtmann- und Brunegg Gletscher auf die Diablons, die Nordostwand des Bishorns und das Brunegghorn (Abb. 1). Der Weg auf der Moräne ist gut ausgetreten und markiert, in grösseren Abständen auch mit grossen Steinmännern. Über einen ersten flachen Felsaufschwung erreichen wir die Weggabelung mit dem gegen Norden abzweigenden direkten Anstieg zum Üsseren Barrhorn. Wir nehmen den Pfad zum Schöllijoch, der steil über Geröll die zweite Felsstufe überwindet. Hier ist auf dem rutschigen Geröll am oberen Rand der Felsstufe nochmals Vorsicht geboten. Auf dem Schöllijoch öffnet sich endlich der Blick ins tief eingeschnittene Mattertal und hinüber zur Mischabelkette mit Nadelhorn, Lenzspitze, Dom, Täschhorn und Alphubel (Abb. 2).

 

Nun bleibt nur noch der Westhang des Inneren Barrhorns zu queren und schon stehen wir im Sattel mit der auf der Karte vermerkten Höhenquote von 3488 Metern, wo der letzte stotzige Aufstieg zum Gipfel des Üsseren Barrhorns beginnt. Welch wunderbarer Ausblick erwartet uns auf dem Gipfel! Direkt vor uns im Süden überragt das mit seiner vergletscherten Ostflanke blendende Weisshorn das Bishorn (Abb. 3). Weiter westlich folgen Dent Blanche, Grand Cornier, Mont Blanc de Cheilon, Grand Combin, das Mont Blanc-Massiv bis hin zu den Dents du Midi. Nördlich des Rhonetals erheben sich die Gipfel gegen das Wadtland hin und die Berner Alpen. Man sieht das ganze Goms hinauf bis zum Galenstock. Im Osten öffnet sich der Blick auf das Simplongebiet und das Saastal mit Fletschhorn, Lagginhorn und Weissmies. Wir finden Stoff für eine lange Geographiestunde, erinnern uns an viele vergangene Bergtouren und können uns von diesem sagenhaften Rundblick kaum mehr trennen. Nun werden wir dafür belohnt, früher aufgestanden zu sein: wir haben den Gipfel für uns und Zeit zu geniessen.

 

Für den Abstieg wählen wir den direkten Weg hinunter zur bereits beschriebenen Weggabelung. Dieser Pfad zweigt noch vor dem zwischen den beiden Barrhorngipfeln gelegenen Sattel (Punkt 3488 Meter) gegen Südwesten ab.  Der restliche Abstieg folgt der Aufstiegsroute (Abb. 4). In der Hütte geniessen wir noch ein ausgezeichnetes Mittagessen, bevor wir über den Moränenweg zum Stausee absteigen, wo ein Fahrsträsschen zum Vordern Sänntum zurückführt (Abb. 5). Auf der Hin- oder Rückfahrt durch das abgelegene Turtmanntal empfiehlt sich das altehrwürdige Hotel Schwarzhorn für eine Kaffee- oder Zvieripause.

 

 

Abb. 1 Die ersten Sonnenstrahlen am Bishorn beim Aufstieg zum Barrhorn

 

Abb. 2 Äusseres (links) und Inneres Barrhorn (rechts) vom Schöllijoch aus

 

Abb. 3 Weisshorn, Bishorn und im Hintergrund die Dent Blanche vom Äusseren Barrhorn aus

 

Abb. 4 Abstieg durch die Felsen ins Gässi-Couloir

 

Abb. 5 Routenverlauf

 

Tatsachen muss man kennen, bevor man sie verdrehen kann.
Mark Twain