Chinzig Chulm

Auf Suworows Spuren

 

Zwischen dem 24. und 27. September 1799 überschritt General Suworow mit seiner Armee von Altdorf kommend den Chinzig Chulm nach Muotathal, wo er vergeblich den Ausbruch nach Schwyz und weiter den Zusammenschluss mit den verbündeten Armeen bei Zürich suchte. Der Chinzigpass stellte grössere technische Herausforderungen für seine Soldaten als der Gotthardpass, da dieser zweite Übergang nur von lokaler Bedeutung und deshalb lediglich durch kaum oder schlecht befestigte Bergwege erschlossen war. Wie am Gotthard und in der Schöllenenschlucht musste sich die russische Armee auch hier den Weg zum Pass hinauf freikämpfen und vorerst zwei französische Bataillone mit dem Bajonett besiegen. Danach waren die Soldaten und ihr Tross schlechtem Wetter mit eisigem Wind, Regen und Schneefall ausgesetzt. Die Wege waren vermutlich bald einmal völlig verschlammt oder vereist und stellten Truppen sowie Train insbesondere im stotzigen Aufstieg zum Chinzig Chulm vor grosse Schwierigkeiten. An die Biwaks in nasser Kleidung und ohne adäquate Ausrüstung mag man gar nicht erst denken. Während meiner letzten Überschreitung des Passes am 23. November 2018 bei ebenfalls launischem Wetter und eisigem Wind war ich oft in Gedanken bei jenen russischen Soldaten und schätzte meinen leichten Rucksack sowie die moderne Gebirgsausrüstung sehr.

Wir starten die etwas längere Wanderung bei der Bergstation der Luftseilbahn Flüelen – Eggberge und folgen dem Fahrsträsschen über Unter- und Ober-Eggberge, bis dieses nach mehreren Kehren die Trasse des Skiliftes quert. Hier zweigt in östlicher Richtung ein Bergweg ab, der zur Hüenderegg hinaufführt, einem herrlichen Aussichtspunkt, hoch über dem Reusstal gelegen (Abb. 1). Der Blick reicht vom Schärhorn zu Windgällen, Bristen, Urirotstock und weiter über das Nebelmeer im Mittelland hinaus bis zur fernen Jurakette. Nach kurzer Rast steigen wir nach Norden über den Gratrücken zum Flesch Kiosk ab und queren anschliessend die Ostseite der Krete in Richtung der Chalberweid, von wo wir weglos durch den Kessel zwischen Hagelstock und Hagelstöckli den von letzterem herunterziehenden Grat, wie oft hier in der Gegend Eggen genannt, mit seinem Geländepunkt 1949 Meter gewinnen. Hier erwartet uns wieder eine Bank, die zum erneuten Geniessen der Aussicht einlädt. Weiterhin weglos steigen wir Richtung Wiltschi ab, wo wir über den Schächentaler Höhenweg das Skihaus Edelweiss erreichen, ein weiterer Ort der möglichen Einkehr.

Nun beginnt der Aufstieg durch den Felsenkessel über der Alp Hinter Wissenboden hinauf zum Chinzig Chulm. Der Pfad ist in seinem oberen Teil steil und an einigen Stellen in den Felsen geschlagen. Im Bewusstsein, dass Suworows Armee damals zu wenig Maultiere für diesen Übergang zur Verfügung standen und deshalb auch Laffetten und Kanonenrohre, soweit nicht schon aufgegeben, von den Soldaten selbst getragen werden mussten, fällt dieser Anstieg ohne schwere Last leicht. Auf dem Pass, am Fuss der kleinen Kapelle erinnert eine Gedenktafel an den Durchgang der russischen Armee (Abb. 2). Auch eine kleine Schutzhütte steht heute hier, die man bei windigem Wetter gerne in Anspruch nimmt.

Für den Abstieg ins Hürital wenden wir uns vorerst gegen Norden Richtung Wandfuss des Chaiserstocks, bevor wir nach Nordosten umbiegen und über Hoch Biel und Lang Egg zur Seenalp mit dem gleichnamigen See hinuntergehen. Hier erwartet uns eine karge, von Karren und Schratten durchzogene Landschaft, die im ersten Schnee nur noch abweisender wirkt (Abb. 3). Auf dem Seenalper Seeli sirrt die sich bildende dünne Eisdecke unter dem dahinfegenden Wind. Über Tannenboden und durch den Stöckwald geht es nun immer steiler hinab zum Grund und weiter bis Liplisbüel, wo im Sommer eine weitere Gastwirtschaft auf müde Wanderer wartet. In der Gruobi weiter talwärts, einem im Kanton Schwyz häufig anzutreffenden Unterstand aus Holz, hängen Gedenktafeln, die an den Tod von Wildheuern erinnern, welche vom Träsmerenband hoch oben am Wasserbergfirst stürzten.

Der alte Talweg folgt dem Hüribach bis hinunter nach Muotathal (Abb. 4). Ausgangs Hürital hat sich das Wildwasser über die Zeit eine tiefe enge Schlucht gegraben und lässt die Naturgewalten erahnen, die einmal entfesselt Mensch und Tier auch heute zu bedrohen vermögen. Am gegenüberliegenden Hang sind noch gut die Verwüstungen des Murganges zu erkennen, der im Januar 2016 vom First entlang des Teufbachs niederfuhr und einen einheimischen Autofahrer in den Tod riss. 2010 erfolgte zudem zwischen dem Weiler Ried und dem Dorf Muotathal beim Mettelbach ein mächtiger Felssturz, der im darunterliegenden Wald einen mächtigen Schuttkegel zurückliess.

Suworow fand bei seinem Durchzug im Minoritinenkloster nördlich des Dorfes Muotathal Unterschlupf, während seine Truppen sich gegen die Franzosen bis zur Brücke in der Schlucht beim Schlattli vorkämpften. Letztere trägt noch heute den Namen des Generals. Da sie den Ausbruch nach Schwyz nicht schafften, zog das russische Heer schliesslich über Pragel- und Panixerpass bis ins Vorderrheintal, von wo Suworow ohne den angestrebten militärischen Erfolg bei Zürich seine Reise in die russische Heimat antrat.

Abb. 1 Ausblick von der Hüenderegg auf Schärhorn und Windgällen

Abb. 2 Kapelle und Gedenktafel auf Chinzig Chulm

Abb. 3 Eiskalte Einsamkeit auf Hoch Biel

Abb. 4 Routenverlauf

Eine Investition in Wissen bringt noch immer die besten Zinsen.
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